Chinotto – kleine Frucht, großer Geschmack

CHINOTTO – KLEINE FRUCHT, GROSSER GESCHMACK

Haben Sie schon einmal von Chinotto gehört? Vermutlich nicht – aber das wäre auch nicht weiter tragisch. Denn man muss vermutlich schon regelmäßig in (Nord-)Italien unterwegs sein, um die kleine grünen oder orangenen Zitrusfrucht zu kennen. Chinotto ist eine Art der Bitterorange, die größtenteils in der italienischen Küstenregion Ligurien wächst. Genauer gesagt soll es sich um eine Mutation der Bitterorange handeln, die im 16. oder 17. Jahrhundert von Seeleuten aus China an die italienische Riviera gebracht sein soll. Von dieser Erklärung leitet sich letzten Endes auch der Name Chinotto ab. Auf Französisch spricht man sogar von „Chinois“ (dt.: Chinese).

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Unvergleichlicher Geschmack

Nachdem die Frucht lange Zeit in Vergessenheit geraten war, konnte in den letzten 10 Jahren wieder ein erstarktes Interesse am Chinotto festgestellt werden. Doch das ist für die Landwirte gar nicht so einfach: Zum einen ist die Region voller Hügel und Berge, was die Anlage einer großen Plantage verhindert. Zum anderen gelten die Chinotto-Bäume als sehr launisch. Mit anderen Worten: Mal tragen sie sehr viele Früchte, manchmal aber auch gar keine. Und nur selten erreichen die Ernten einen Gesamtertrag von mehr als 20 Tonnen.

Einfach so essen kann man die Chinotto-Früchte übrigens nicht! Denn auch wenn sie intensiv duften, so sind sie geschmacklich sowohl im unreifen als auch im reifen Zustand viel zu bitter und ihr Fruchtfleisch viel zu trocken. Stattdessen werden die Früchte verarbeitet.

Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert zum Beispiel erfreute sich der Chinotto einer großen Beliebtheit bei der feinen Gesellschaft Europas, die die italienische Riviera zum beliebten Winter-Reiseziel erklärte, um im milden Klima unter Palmen und Zitrusbäumen im Café zu sitzen und kandierte Chinotto zu essen. So standen in den meisten Bars der Region große Porzellankrüge voll mit in Maraschino-Likör eingelegten Chinotto-Früchten, die man als Begleiter zum Aperitif oder Digestif bestellte, berichtet der Inhaber der traditionsreichen Firma „Augusto Vincenzo Besio“ in einem Beitrag.

Und natürlich brachten die Winter-Urlauber die kandierten Früchte auch als Souvenir mit nach Hause, sodass sich die Bekanntheit von und Nachfrage nach Chinotto schon bald in ganz Europa verbreitete.

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Chinotto als Coca-Cola Ersatz?

Weitere Bekanntheit erreichte die Chinotto-Frucht in den 1930er Jahren, als die gleichnamige Limonade auf den Markt kam. Der Ursprung ist umstritten. Angeblich soll der italienische Getränke-Hersteller San Pellegrino die Bitterorangen-Limonade erfunden haben. Der Erfolg geht allerdings Hand in Hand mit der Propaganda und Politik der italienischen Faschisten um Benito Mussolini. Denn ein italienisches Getränk, das geschmacklich an die US-amerikanische Coca-Cola erinnerte und den Erfolg eben dieser bremsen sollte, kam der faschistischen Regierung sehr gelegen.

Auch mit Kriegsende war der Erfolg der Chinotto-Limonade zunächst ungebrochen. Erst mit dem wirtschaftliche Aufschwung in den 1960er Jahren setzte sich die Cola gegen die italienische Limonade durch. Und da ungefähr zur selben Zeit auch die kandierten Früchte mehr und mehr aus der Mode fielen, geriet der Chinotto langsam aber sicher in Vergessenheit.

Alles kommt wieder

Wie in der Mode macht die Nostalgie-Welle auch vor Lebensmitteln nicht halt: Neben all den Marktführern, die mit Vintage- oder Retro-Designs eine Art „Fanservice“ leisten, finden sich daher auch immer wieder Firmen, die alte, in Vergessenheit geratene Produkte neu aufleben lassen. So auch die Chinotto-Limonade – nicht selten übrigens in einem klassischen Retro-Style inklusive Pin-Up-Girl auf dem Etikett. Und in einigen italienischen Bars finden sich sogar Longdrinks wie Savona Libre oder Liguria Libre. Wie der Name vermuten lässt, handelt es sich dabei um den beliebten Cuba Libre – nur eben mit Chinotto-Limonade statt Cola.

Der wiederbelebte Trend hat auch den Chinotto an sich wieder in den Fokus gerückt. Neben der Limo sind deshalb auch die kandierten Früchte wieder zurück. Und nicht nur das! Einige Hersteller haben ihr Portfolio sogar erweitert und stellen nun auch Sirup oder Konfitüren her.

Quelle:
Chinotto: Von der vergessenen Frucht zum Trendgetränk - WELT
Augusto Vincenzo Besio, dal 1860 Chinotti canditi
Chinotto: Bis zur bitteren Reife